Streit um Meinungen und künstlerische Gestaltungen gibt es seit der Antike. Mit der »Cancel Culture«, der oft auch medial verstärkten Auseinandersetzung um eine »korrekte« Kunst und Meinung, haben die Diskussionen eine neue Dimension angenommen. Die Debatten ufern aus, sie sollten aber auf genauer Kenntnis der im Grundgesetz sowohl festgelegten wie auch begrenzten Freiheit von Meinungen, Kunst und Wissenschaft basieren. So erklärte der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers im Zusammenhang der Entfernung eines antisemitischen Gemäldes von der documenta15 in Kassel in einem Gutachten vom 10. Oktober 2022 für die Kulturstaatsministerin: »Die Freiheit der Kunst kann auch in Fällen rassistischer oder antisemitischer Tendenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vor staatlichen Zugriffen schützen. Das ist der freiheitliche Skandal der grundgesetzlichen Ordnung.«
Die Bayerische Akademie der Schönen Künste thematisiert die Frage nach den Grenzen der Kunstfreiheit in ihrer neuen Vortragsreihe. In sieben Beiträgen werden die juristischen, künstlerischen, philosophischen und kulturellen Aspekte der Kunstfreiheit von Wissenschaftlern und Künstlern präsentiert und zur Diskussion gestellt.
Zur Diskussion dieser Fragen haben wir im ersten Halbjahr 2023 eine Reihe von sieben Vorträgen organisiert. Die Referenten:
17.5. Stefan Korioth
25.5. Gert Heidenreich
23.6. Mattias Politycki
27.6. Andreas Beck, Alexander Eisenach
28.6. Julian Nida-Rümelin
3.7. Andrea Kern
10.7. Peter Jelavich
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Die Ubiquität der Kunst im gegenwärtigen Bewusstsein, ihre Verhandlung als weitere Vorkommnisse im allgemeinen öffentlichen Meinungsgeschehen, korreliert unmittelbar mit ihrer Bedeutungslosigkeit. Kunst, die als weitere Meinungstatsache im Raum der Meinungen wahrgenommen wird, als »irgendwie« schützenswertes Gut, wird nicht als Kunst wahrgenommen. Dem entspricht, dass der öffentliche Streit um die Kunst verfehlt ist, wenn er als ein Streit um normative Fragen geführt wird: Fragen zu den ästhetischen und politisch-moralischen Standards, von denen angenommen wird, dass die Kunst unter sie fällt. Ich möchte diese Selbstverständlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Kunst infrage stellen. Meine These wird lauten: Kunst als Kunst wahrzunehmen, heißt, sie als etwas zu erfahren, das in keinem möglichen Sinn in einem widerstreitenden Verhältnis zur Moral, zur Politik, zum Recht stehen kann. Kunst als Kunst wahrzunehmen heißt, sie als etwas zu erfahren, das nicht Gegenstand von äußerlichen Überlegungen mit Bezug auf die menschliche Freiheit sein kann, und zwar deswegen nicht, weil sie selbst der Ort und das Medium der menschlichen Freiheit sind. Darin liegt zugleich die Freiheit wie auch die Notwendigkeit der Kunst. A. K.
Andrea Kern ist Professorin für Geschichte der Philosophie an der Universität Leipzig. Die Schwerpunkte ihrer Forschung sind Erkenntnistheorie, Philosophie der Wahrnehmung, Skeptizismus, Philosophische Anthropologie und Ästhetik. Erschienen sind u. a.: Schöne Lust – eine Theorie der ästhetischen Erfahrung nach Kant (2000) und Quellen des Wissens (2006).
Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich. Bitte haben Sie dafür Verständnis, daß unser Platzangebot begrenzt ist. Daher werden eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung am Haupteingang der Residenz Platzkarten vergeben.